Seitens Wiener Börse gab es zuletzt fast nur gute Nachrichten: Einerseits konnte die letzten Tage der grobe Verlust aus der kurzen China-Krise fast gänzlich wettgemacht werden, andererseits konnte man sich auch über steigende Handelsumsätze im 3. Quartal 2015 freuen - diese stiegen um 19,1% auf 13,59 Mrd. Euro.
Im Vergleich zum Jahresstart liegt man derzeit sogar ein paar Prozentpunkte im Plus - was nicht alle europäischen Börsen von sich behaupten können. Doch die Wiener Börse und der ATX haben ohnehin Aufholbedarf und die Zeit für Aktien könnte aktuell nicht günstiger sein: Hohe Dividenden und größtenteils gute Aussichten bzw. solide Zwischenergebnisse bei den heimischen Top-Aktien sowie lächerliche Zinsen für Sparer bzw. bei den Anleihen.
Trotzdem springt der Funke nicht wirklich auf die Privatanleger über: Zu lange haben Politik und Medien gegen Aktien gehetzt und zu oft wurden böse Geschichten mit Tilgungsträgern (insbesondere bei notleidenden Frankenkrediten) oder unseriösen Anlagen (man nehme hier z.B. die als "sicher" verkaufte Meinl-European-Land-Aktie her, aber auch der Immofinanz-Skandal verscheuchte viele Menschen wohl für ewig) kolportiert. Die breite Masse der seinerzeit interessierten Anleger wurde damit ziemlich reduziert, jahrelange Aufbauarbeit in Sachen Kapitalmarkt zerstört.
An der Nebenfront gibt es hingegen immer mehr Investitionsmöglichkeiten für aufgeschlossene Investoren: Crowdfunding, Crowdlending, Business Angels und Co. haben derzeit Hochsaison.
Das Management der Wiener Börse scheint hingegen ziemlich untätig zu sein und verliert sogar laufend an der Wiener Börse notierende Unternehmen: Ob jetzt durch Pleiten, Übernahmen oder auch (in letzter Zeit verstärkt) durch squeeze out (Ausschluss der Minderheitsaktionäre) - das Kursblatt abseits der 1. Liga (der ATX) wird dünner und dünner.
Auch im ATX prime (quasi der 2. Liga) gibt es keine Unternehmen , die aus der 3. Liga hochschießen und damit für weitere Belebung des Börsenplatzes Wien sorgen.
Während im Internet die Märkte für alternative Anlagen boomen, rührt die Wiener Börse diesbezüglich kein Ohrwaschl, was Anlegervertreter Wilhelm Rasinger und dessen IVA (Interessensverband für Anleger) schon vor einiger Zeit einen "Aktionsplan" für die Börse veranlasste.
Neben den üblichen Kanditaten für eine Privatisierung aus der ÖBIB (vormals ÖIAG) wie z.B. Casinos Austria wären auch die Stromlandesversorger ideale Privatisierungskanditaten - aber welcher Landeskaiser möchte da schon seinen Einflussbereich verringern...
Eine noch bessere Idee, die auch die IVA auf der Agenda hätte und die der Börse Wien dringend empfohlen werden kann: Ein neues "KMU-Segment". Erleichterungen in Sachen Kapitalmarktprospekt, weniger Zwischenberichte (z.B. nur 1x halbjährlich) und deutlich geringere Kosten als aktuell würden wohl viele kleinere und mittlere AG's rasch an die Börse bringen. Einige Beispiele aus dem Energiebereich: W.E.B. Windenergie, oekostrom AG oder Windkraft Simonsfeld sind allesamt Unternehmen, die gegenwärtig einen (eher mühsamen, aber kostenschonenden) Privathandel mit ihren Aktien am Laufen haben. Nachdem solche Unternehmen derzeit auf Wachstumskurs sind, könnte man da ja angesichts einer weiteren Kapitalerhöhung ja ein Angebot stellen...
Das würde auch den Handel mit den Aktien genannter Unternehmen flüssiger und beliebter machen - und schon sehr bald weiteren Börsennachwuchs anlocken. Wie Rasinger bzw. die IVA auch fordern, wäre für dieses Kleinsegment ein wöchentlicher oder monatlicher Handel ausreichend!
Auch der Crowdinvesting-Markt ist diesbezüglich wohl in einiger Zeit reif: Von den vielen Unternehmen, die derzeit Kaptial aufnehmen, könnten es in einiger Zeit durchaus einige wenige schaffen, für eine Börsennotiz reif zu werden. Müssen ja nicht immer die business angels das große Geld machen...
Ein wenig Mut, ein wenig Zukunftsfantasie und ein wenig Arbeit (das Abklappern von Kanditaten) würde schon reichen um hier endlich wieder ein wenig Schwung in die Wiener Börse zu bringen und sich damit ein neues Privatanlegersegement zu schaffen.
Ad hoc-Meldung - Oktober 2015