Hauptversammlungen bei heimischen AG's sind ja an und für sich eine mühsame Gschicht: In der Regel gibt es einige (oft immer die gleichen) selbsternannte Revoluzzer, die mit mehr oder minder wichtigen Wortmeldungen den Vorstand sekkieren und die Buffetstürmer ("Naturaldividende") aufhalten und dann doch deutlich vom Hauptaktionär (bzw. den Großaktionären) niedergestimmt werden.
Nicht ganz so bei der oekostrom AG: Die ist nämlich eine breite Publikums-AG mit nur einigen "kleinen Großaktionären" (2,3,4 oder 5% des Kapitals) - da kann es dann bei den Abstimmungen schon ab und an spannend werden.
Immerhin 256 Aktionäre im Besitz von 58.091 Aktien (von 124.421 Stück insgesamt) haben sich sodenn im Studio 44 (3. Bezirk) eingefunden um primär eine Frage zu diskutieren: Soll die oekostrom AG den Vertrieb des Ende 2016 ziemlich überraschend eingeführten Produktes "gas future" fortsetzen oder nicht.
Zu diesem Thema hatte Aktionär Martin Krill (in der Branche kein Unbekannter) Unterschriften von Aktionären gesammelt und damit erreicht, dass 2 weitere Tagesordnungspunkte zur Abstimmung anstanden: Einerseits eine eventuelle Satzungsänderung (Aufnahme des Vertriebs von Erdgas in die Satzung), andererseits ein Antrag auf Sonderprüfung der Satzung der oekostrom AG.
Für viele Aktionäre (auch für mich) war die Einführung eines Gasproduktes nämlich sehr überraschend gekommen - und dass der Gasvertrieb in einem Ökostromunternehmen seine (oft scharfen) Kritiker hat, darf wohl nicht verwundern: Die Debatte "Fundis versus Realos" durfte somit beginnen.
Zu beurteilen galt es, ob der Gasvertrieb satzungskonform sei oder nicht - und sowohl Pro (oekostrom AG Management) als auch Contra (Martin Krill) brachten Gutachten bzw. die dazugehörigen Rechtsanwälte mit, die die Gutachten auch erläuterten. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, wie man sich vorstellen kann;-)
Nach unzähligen und unendlich langen (Krill: verärgerte viele im Publikum, die ihm vielleicht inhaltlich gewogen waren, so manchem Aktionär wurde die stundenlange Debatte zu mühsam und er verließ die Veranstaltung) Wortmeldungen (teils unter der Gürtellinie, teils sachlich fundiert, teils nur emotionell) zog Aufsitzrat-Vorsitzender Mag. Rafaseder schließlich eine auf Hauptversammlungen seltene Registerkarte und ließ einfach (unverbindlich!) über den Gasvertrieb der oekostrom AG abstimmen:
69,5% befürworteten die Beibehaltung der oekostrom-Gasprodukte, 30,5% der Anteile sprachen sich dagegen aus.
Die von der "Anti-Gas-Fraktion" eingesetzten Tagesordnungspunkte "Satzungsänderung" sowie "Sonderprüfung der Satzung" waren somit dann nur noch Formsache und wurden mit klaren Mehrheiten (ca. 97% bzw. dann ca. 64%) abgelehnt.
Der Rest der Tagesordnungspunkte (Dividende 2,75 Euro als Einlagenrückzahlung, Entlastung Vorstand, Entlastung Aufsichtsrat, Vergütung AR, Abschlussprüfer) waren dann recht ruckzuck durch (ein paar Gegenstimmen bzw. Enthaltungen gibt es hier fast schon traditionell) und die HV ging in den späten Abendstunden dann doch noch recht friedlich zu Ende.
Was in der Debatte um Gas oft ziemlich unrealistisch eingeschätzt wurde: Gas wird auch in den nächsten Jahrzehnten ein sehr wesentlicher Bestandteil der Energie- und Wärmeerzeugung sein. Das kann man (wenn man sich ein wenig mit den Gegebenheiten beschäftigt) leider nicht wegleugnen - auch wenn so mancher Fundi sich das vielleicht wegwünschen würde...
Abgesehen von den unzähligen mit Gas beheizten Wohnungen ist Gas auch im Strommanagement ein wesentlicher Faktor: Gerade die bei Erneuerbaren (Wind, Sonne) oft sehr rasch und stark schwankenden Erträge müssen mit rasch einsetzbaren Kraftwerken (z.B. Speicher, Pumpspeicher, Gas, in Deutschland leider auch verdammt viel Kohle) ausgeglichen werden - solange es hier keine leistbaren und sinnvollen Speichermöglichkeiten gibt, ist Gas hier ein absolut notwendiges Übel. Und das wird noch sehr sehr lange so sein - die Energiewende kann man sich nämlich nicht herbeiträumen, die braucht Zeit und noch viel Forschung.
Da die oekostrom AG ein ziemlich einzigartiges Gasprodukte vertreibt (nur Gas aus Österreich, alle Produkte mit Biogas-Beimischung), stellt für mich das Produkt (mittlerweile) eine sehr sinnvolle Alternative zu den herkömmlichen Gasangeboten dar und bieten den rund 56.000 oekostrom-AG-Stromkunden nun auch einen ökologisch leicht angereicherten Gastarif an. Ich brauche Gas ja zum Glück nicht - würde mich als Ökostrom-Kunde mit Gasbedarf aber darüber freuen.
Auch wenn mich die oekostrom AG gestern ziemlich restlos (mit vielen stichhaltigen Argumenten) von der Sinnhaftigkeit des Gasproduktes überzeugt hat: Eine zeitgerechte Information (z.B. via Veranstaltung) über den Start des Gasvertriebs wäre sehr wohl angebracht gewesen - und vor den eigenen Aktionären (die trotz grober Auffassungsunterschiede in Sachen Energiewende ohnehin in eine ähnliche Richtung wollen) muss man sich ja nicht fürchten. Gerade in Zeiten, wo das Unternehmen endlich auf die Siegerstraße abgebogen ist.
Geldmarie-Linktipp:
Ad hoc-Meldung - Juni 2017