Der Ausgang der "Ibiza-Nationalratswahl 2019" war -angesichts recht genauer Prognosen der Meinungsumfragenbranche- ja keine wirkliche Überraschung - einzig der deutliche Verlust der FPÖ und der starke Zugewinn bei den Grünen überraschte dann doch ein wenig.
Mit dem sehr guten Ergebnis der ÖVP und dem (wohl selbst für die Grünen in dieser Größenordnung) überraschenden Comeback der Grünen ergibt sich dann doch eine deutlich andere Ausgangslage für die kommenden Koalitionsverhandlungen:
Die FPÖ, vor ein paar Tagen noch streichelweich und koalitionsgeil, hat ruckzuck, zackzackzack beschlossen, sich nun doch wieder in die Opposition zu verabschieden, die SPÖ kann mit den Kurz-Buberln sowieso nicht und die Grünen kämen plötzlich auch ohne NEOS mit der ÖVP auf eine Mehrheit im österreichischen Parlament.
Die Grünen-Wortmeldungen nach der Wahl waren natürlich sehr reserviert (wohl auch taktisch bedingt) - an einer Regierungsbeteiligung MUSS man aber wohl derzeit ob der Themenführerschaft in Sachen Klima und Umwelt derzeit wohl denken. Das riecht natürlich ob schwer unterschiedlicher Weltanschauungen nach harten Koalitionsverhandlungen - aber viel mehr realistische Koalitionen gibt es derzeit wohl nicht für Kurz und Co.
Damit gleich zu den Ergebnissen (noch mit Wahlkartenprognose, da wird sich aber maximal hinter dem Komma noch etwas ändern):
Die Stimmung für die ÖVP war ob des Kanzlerbonus für Kurz ohnehin schon vor dem Ibiza-Skandal gut. Mangels starkem Mitbewerb (FPÖ schwer geschwächt, SPÖ kommt auch nicht aus den Seilen) war dieser klare Wahlsieg für Kurz klar - man erinnere sich nur an den seinerzeitigen Sieg von Schüssel, als sich die FPÖ gerade zerfleischt hat.
Die 37,1% schließen fast schon an Ergebnisse an, als nur 3 Parteien im Parlament waren (und die FPÖ eine Kleinpartei) - das Wahlkampfmanagement und auch Kurz selbst (den man natürlich nicht mögen muss) machten ziemlich alles richtig.
Rendi-Wagner konnte sich zwar im Wahlkampf deutlich verbessern - überzeugend waren aber weder Programm noch Personen. Der SPÖ sterben die Wähler weg, die Parteistrukturen sind verkrustet und selbst die FPÖ-Schwäche konnte kaum genutzt werden.
Hinzu kam auch das Comeback der Grünen, von deren Wählern 2017 noch viele Kern gewählt haben - die wanderten ob Kogler 2019 allerdings wieder zurück.
Weiterhin sehr schwere Zeiten für die Genossen in Sicht - 21,7 Prozent sind bisweiliger Minusrekord für die Sozialdemokratie.
Eine verdiente Watschn gab es für die FPÖ - immerhin war deren Ex-Vizekanzler ja auch für die vorgezogenen Neuwahlen "zuständig".
Ein Verlust von rund 10% auf 16,1% fiel zwar (in dieser Höhe) überraschend aus - und trotzdem darf man sich auch die Frage stellen, wer trotz Ibiza oder Spesenthema noch immer zu den Blauen hält. Da muss man schon sehr viel beinhart ignorieren können und einen Saumagen haben...
Ein Ausschluss von Strache und eine folgende Spaltung in "Wutbürger" und "Ibiza-Rechts-Fraktion" sind derzeit durchaus nicht unmöglich - da kommt auf Hofer und Kickl viel Arbeit zu und die Wien-Wahl steht eigentlich schon wieder vor der Tür...
Klimawandel, Greta Thunberg, Demos, ein schwacher Pilz, eine schwache SPÖ und ein starker Kogler: Das sind die Hauptzutaten für das beste Resultat, welches die Grünen bei Nationalratswahlen in Österreich je erzielen konnten. Ein wahrlich fettes Comeback, welches sogar die optimistischsten Grün-Wähler wohl nicht erahnt hätten.
Mit 14% ginge sich damit sogar eine 2er-Koalition mit der ÖVP aus - wie schon erwähnt, treffen hier aber durchaus politische Welten aufeinander.
Hinter dem jovialen "Wirtshausgrünen" Kogler steht aber wohl auch eine Armada ziemlich linker (und wenig kompromissbereiter) Menschen, die man mit Kogler ins Parlament reingewählt haben und die mit der Buberlpartie der ÖVP wenig anfangen können. Harte Überzeugungsarbeit (in Sachen politischer Kompromisse) kommt da auf Kogler zu.
Was für eine VP-Grüne-Koalition spricht: Der Zeitgeist sagt "Klimawandel" und nicht mehr (wie bei der letzten Wahl) "Flüchtlingskrise". Das macht es der VP auch leichter, sich nach links bzw. zumindest in die Mitte zu bewegen. Ob man die Grünen dorthin kriegt, wird sich bald zeigen...
Auch die NEOS konnten sich über das Resultat (7,8%) durchaus freuen und erzielten beim dritten Antreten ihr bestes Nationalratswahlergebnis.
Respekt insbesondere vor Beate Meinl-Reisinger, die in die großen Fußstapfen von Mitgründer Strolz trat und diese rasch ausfüllen konnte. Obwohl viele Wähler auch wieder von Pink zu den Grünen zurückkehrten, dürfen sich die NEOS durchaus über ein Wachstum freuen.
Negativ hier primär, dass es aus einer Regierungsbeteiligung nichts wird und dass die Stimmen der NEOS im Parament auch für 2/3-Mehrheiten nicht mehr relevant sind.
Peter Pilz kam, sah und siegte. Peter Pilz hats dann auch gleich wieder selbst versaut.
2017 habe ich nach der Wahl Schwarz-Blau und einen Rechtsruck prognostiziert, ebenso auch, dass es die FPÖ nach einiger Zeit wieder ziemlich zerbröseln wird. Ibiza war diesbezüglich natürlich noch nicht bekannt;-)
VP-Grüne wäre sicher einen Versuch wert - insbesondere, wenn man sich in der Mitte treffen kann und die Erzkonservativen bzw. Linkslinksausleger in den Griff kriegt. Andere Koalitionsvarianten halte ich eher für unwahrscheinlich, eine Minderheitsregierung würde bei uns nicht lange halten und auch sehr teuer werden (Zugeständnisse an alle - ähnlich wie in Vorwahlzeiten) ...
Die SPÖ wird sich mit Rendi-Wagner wohl kaum erfangen, bei der FPÖ kann es wohl nur bergauf gehen, wenn die Spaltungstendenzen positiv bewältigt werden können (glaube kaum, dass die Mehrheit Strache noch halten möchte) und die Liberalen können mit seriöser Politik versuchen, die 10% zu erreichen.
Ad hoc-Meldung - September 2019