Ziemlich verärgert zeigt sich dieser Tage die alternative Musikszene bzw. deren Labels bzw. Distributoren: Der mit Abstand größte Streamingdienst Spotify kündigte nämlich an, ab 2024 die Streams erst ab 1000 Streams pro Jahr und pro Song (und zwar über die jeweils letzten vollen 12 Monate verteilt) zu vergüten. So es Songs nur auf 999 (oder weniger) Streams/12 Monate schaffen, gibt es Null Tantiemen.
Und Geld fließt auch erst ab dem Monat, an dem die 1.000 Streams erreicht sind: Wird ein Lied z.B. im Erscheinungsmonat November 990x gestreamt und im Dezember dann 800x, gibt es nur für die 800 Streams eine Auszahlung...
Nachdem diese Maßnahme rund 80% der auf Spotify vorhandenen Songs treffen wird, ist der Ärger bei den Betroffenen natürlich groß. Auch wenn es sich dabei nur um Kleinbeträge handelt (1.000 Streams werden mit durchschnittlich rund 3 Euro vergütet), ist Spotify im digitalen Bereich (also Abseits von physischen Verkäufen wie CD oder Vinyl und Konzerteinnahmen) doch mit Abstand die Haupteinnahmequelle.
Diese 80% der Songs verursachen aber nur rund 0,5% des "Gesamtkuchens", der bei Spotify zur Verteilung an die KünsterInnen (bzw. Labels/Distributoren) gelangt - diese freiwerdenden (geschätzten) 40 Millionen Euro verteilt Spotify ab 2024 dann an die verbleibenden 20% der Songs (die 99,5% des "Kuchens" lukrieren und über 1.000 mal im Jahr gestreamt werden). Gerechtigkeit sieht natürlich anders aus...
Vielfach wird diese Maßnahme natürlich als "Anschlag auf die jungen/kleinen/alternativen etc." KünstlerInnen wahrgenommen - insbesondere weil diese in Sachen Streamingeinnahmen ohnehin nicht gut auf Spotify & Co. zu sprechen waren: Hat man früher noch ein paar CD`s verkauft (mit netter Gewinnspanne), so fällt diese Einnahmequelle mittlerweile fast gänzlich weg (fast niemand fragt mehr nach einer CD). Wer es sich leisten kann, eine Vinyl-LP zu produzieren, muss bei Kleinauflagen schon für die Produktion rund 20 Euro pro LP hinlegen - da bleibt dann im Verkauf nicht viel Spanne...
Während die "kleineren" (oft qualitativ deutlich besseren) MusikerInnen nun noch fester in den sauren Apfel beißen müssen, boomt die Musikindustrie durch Streaming seit einigen Jahren wieder. Ging es in den Nullerjahren durch illegale Downloads von mp3 noch ständig bergab, brachten die Smartphones das Musikstreaming so richtig in die Gänge.
So wuchs der Musikmarkt in Östereich im ersten Halbjahr 2023 um 15,5% auf 98,3 Mio. Euro. Auf Streaming entfielen davon schon 82 Mio. Euro (+20% gegenüber 2022) - 8,6 Milliarden Songs (+18%) wurden in Österreich im 1. Halbjahr 2023 gestreamt. Die CD hingegen ist weiterhin im Aussterben (8,4 Mio. Umsatz, -10%) und Vinyl (5,4 Mio. Umsatz, +17%) wird wohl schon bald die CD-Umsätze übertreffen.
Vom Streaming-Boom bekommen die "Kleinen" aber kaum etwas mit - und nun werden ihnen auch noch kräftige Prügel (=Streaming-Mindeszahl) vor die Füße geworfen. Die etablierten Plattenfirmen (und Altstars) profitieren hingegen von ihren "Klassikern" dreifach: Einst verkaufte man eine Vinyl-LP (Schallplatte), dann die CD-Version davon und nun werden die alten Songs (noch lange) kräftig gestreamt.
Auf den ersten Blick scheint es ja unverständlich, warum Spotify (nicht als erstes Streamingportal!) diese 1.000-Streams-Grenze einführen möchte (und wohl auch wird, die Ankündigung ist schon da, mit Labels/Distributoren wird noch verhandelt): Man schafft sich ob 0,5% der Umsätze sehr viele neue Feinde und auch Negativpresse - und verteilt die dadurch freiwerdenden Gelder an die verbleibenden Rechteinhaber von populäreren Songs.
Aus Sicht des Unternehmens möchte man damit wohl den hohen Verwaltungsaufwand (den die vielen kleinen KünsterInnen verursachen) deutlich reduzieren - und da fängt man eben beinhart bei den (vielen) Kleinen an. Verliert man hier einen Teil der 80% selten gestreamten Songs (die 0,5% des Gesamtkuchens entsprechen), so scheint dies verkraftbar. YouTube hat das übrigens in Sachen Videomonetariserung auch schon gemacht, ist aber zuletzt ein wenig zurückgerudert.
Streaming-Weltmarktführer Spotify wächst weiter stark und hat es im letzten Quartal (nach einigen Sparmaßnahmen) geschafft, einen kleinen Gewinn zu erzielen. Aktuell geht es im Wachstumsmarkt Streaming immer noch um Marktanteile und auch um eine laufende Evaluierung eines Geschäfts, von dem bisweilen nur die Labels und Altkünstler bzw. Rechteinhaber profitieren.
So ist es auch sinnvoll und für die "Crowd" gut, dass man auch Maßnahmen gegenüber Distributoren/Labels ergreifen möchte, die betrügerische Streams abliefern. Selbiges gilt für die sehr gut verdienenden Anbieter von "White Noise" (z.B. Weißes Rauschen oder angenehme Geräusche zwecks Einschlaf- oder Entspannungshilfe), die die "Geräuschkulisse" der Länge nach so optimiert haben (ab 30 Sekunden-Stream wurde bisweilen honoriert), dass daraus besonders viele Streams wurden.
Fakt bleibt aber, dass Spotify hier wohl eigennützig handelt (=weniger Personalaufwand/Verwaltungsaufwand) - viele kleinere Distributoren bzw. Künstler und Labels werden Songs von Spotify entfernen bzw. neue Songs nicht mehr hochladen, die Accountbetreuung wird damit zukünftig einfacher. Auch ist es sicherlich finanziell von Vorteil, deutlich weniger Auszahlungen von Kleinbeträgen (Transfergebühren!) veranlassen zu müssen.
Es besteht aber sehr wohl die Gefahr für Spotify, dass sich dadurch früher oder später ein alternativer Anbieter (der auch den Kleinen eine Chance gibt) etabliert. Muss nur ein unbekannter Künstler plötzlich groß werden und viele Fans weg von Spotify ziehen, haben Herr Ek (CEO Spotify) & Co. ein Problem. Es sind schon so manche "Große" plötzlich weg vom Fenster gewesen - man erinnere sich z.B. an Yahoo oder Nokia-Handys...
Mein Tipp für betroffene KünstlerInnen/Labels/Fans: Zuerst einmal erfassen, welche Songs keine 1.000 Streams in den letzten 12 Monaten schaffen (bei den von mir unterstützten KünstlerInnen/Bands sind das auch ca. 80%), diese dann ab Jänner 2024 in die "Lieblingssongs-Playlist" packen (idealerweise gleich mehrere Songs, so ca. ab 20 Stück) und nebenbei am PC oder Laptop im Hintergrund (z.B. während der Arbeitszeit) kräftig durchstreamen. Labels könnten diesbezüglich auch eine öffentliche Playlist erstellen und diese intern bzw. extern teilen. Die 1.000 Streams sollten sich nämlich wirklich schaffen lassen. Hinderlich könnte hier beim "Hochstreamen" einzige eine "geheime" (wird absichtlich nicht bekanntgegeben) Mindesthürde in Sachen unterschiedliche Streamer sein - streamen die 1.000 Streams nur ein paar Accounts, wird Spotify wohl ebenso die Auszahlung verweigern.
Ein Verlassen von Spotify (= mit Abstand das größte Streamingportal) empfehle ich hingegen vorerst noch nicht - ist man dort nicht vertreten, wird man sich in Sachen "neue Fans" deutlich schwerer tun. Der "Erstkontakt" erfolgt oft auch über Spotify - und führt später zu einem Kauf einer physischen Ware (z.B. LP) bzw. zu einem Konzertbesucht. Nur ein Neil Young braucht das nicht mehr ;-)
Ad hoc-Meldung - November 2023