Ein "Rechtsdrift" ist es geworden. Leider. Ein "Rechtsruck" allerdings nicht. Zum Glück. Die EU-Wahlen sind geschlagen und auch wenn Macrons überraschende Entscheidung, Frankreich in Neuwahlen zu schicken, die Börsenskepsis (=Furcht vor Le Pen, RN) doch befeuert - der befürchtete starke Zuwachs bei den Rechtspopulisten in Europa hielt sich in überschaubaren Grenzen.
Während sich so manche Rechtsparteien in Europa gerade erst so richtig im Aufschwung befinden, ist in Österreich die FPÖ schon seit den 1990ern eine Partei, welche immer (wenn nicht gerade der nächste Skandal bzw. die Regierung platzt) gut für 20 bis 30 Prozent ist.
Dass die FPÖ in Österreich die EU-Wahl gewinnen wird, war eigentlich schon lange klar: Zu schwach präsentierten sich zuletzt die einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ. Und zu schwach waren auch deren Kanditaten.
Nachdem die FPÖ seitens Umfragen aber zuletzt schon mehrfach und lange über 30% gelegen ist, sind die 25,5% (Zahlen noch ohne einige Wahlkartenstimmen, dürften sich aber nicht mehr stark verändern) dann doch kein Triumpf. Sehr wohl stellen sie aber den ersten Wahlsieg der FPÖ in einer Bundeswahl dar. Der Zuwachs im Vergleich zu 2019 war klar - immerhin gab es bei der letzten Wahl gerade die Strache-Ibiza-Causa zu diskutieren...
Von Ibiza und Kurz konnte 2019 noch die ÖVP profitieren - der Fall auf 24,7% war dann aber doch ein heftiger Verlust. Die Regierungspartei hatte natürlich ob Untersuchungsausschüsse und Gerichtsprozesse (plus Corona und Megainflation) weniger Rückenwind und war dann schließlich wohl noch froh, vor der SPÖ gelandet zu sein und nicht zu viel Abstand auf die FPÖ aufzuweisen. FPÖ und ÖVP zeigten wiederum einmal, dass sie in Sieg und Niederlage ziemlich "kommunizierende Gefäße" sind...
Auf Platz 3 landete mit 23,3% die SPÖ - abermals eine ziemliche Niederlage. Ein fachlich zwar solider Spitzenkanditat hatte zu wenig Strahlkraft um die noch nachwirkende Lagerdiskussion (Doskozil - Babler) zu kompensieren und die klassischen SPÖ-Wähler sind ja auch schon ein wenig vom Aussterben bedroht.
Die Jugend wählt da lieber jüngere Parteien wie z.B. die Grünen. Die hatten mit Lena Schilling bzw. auch der Regierungsbeteiligung (die Rolle als Junior-Partner ist selten dankbar) aber auch ein schweres Kreuz zu tragen und dürfen sich somit trotz Verlusten auf immerhin 10,9% freuen.
Solide liefen die EU-Wahlen für die EU-freundlichste Partei: Die NEOS verbesserten sich auf 10,1% (erstmals bundesweit zweistellig) und konnten damit ein zweites Mandat erringen.
Erstaunliche 2,7% gab es für DNA, das reicht aber ebensowenig für ein Mandat in Brüssel wie die 2,9% (deutlicher Zuwachs) für die KPÖ. Die KPÖ könnte mit dem Thema Wohnen dann aber im September (Nationalratswahlen) in Österreich für ein Nationalrats-Comeback sorgen...
Wer (ähnlich wie die Geldmarie) Extremisten und Populisten in der Politik verabscheut, darf sich nach dem Wahlsonntag einigermaßen beruhigt zurücklehen:
Die relevanten Parteien mit Pro-Europa- und Pro-Demokratie-Gesinnung werden auch im nächsten EU-Parlament deutlich den Ton angeben.
Von den 720 Sitzen werden jedenfalls rund 3/4 von soliden Parteien eingenommen!
Die stärkste Fraktion wird wieder die Europäische Volkspartei darstellen, welche mit ca. 185 Sitzen (kleine Verschiebungen auch hier noch möglich, manche neue Parteien könnten sich zudem den verschiedenen Großfraktionen noch anschließen) sogar zulegen konnten.
Die europäischen Sozialdemokraten verloren mit ca. 137 Sitzen nur ein paar Sitze - bleiben aber noch klare Nr. 2 im EU-Parlament. Dass Volkspartei und Sozialdemokraten im Europaparlament nicht auf eine Mehrheit kommen, ist durchaus kein Fehler - so braucht es ab und an halt auch Liberale oder Grüne, um mehrheitsfähig zu werden.
Für die Liberalen lief es bei dieser Wahl europaweit nicht so gut wie in Österreich: Der Absturz der Macron-Partei führte primär zu einem Verlust von rund 20 Mandaten. Mit ca. 79 Sitzen dürften die Liberalen aber in Europa Nr. 3 bleiben.
Auch für die Grünen waren diese Wahlen schmerzhaft: Nur noch ca. 52 Abgeordnete in Grün wird es im nächsten EU-Parlament geben - ca. 19 weniger, als noch zuletzt.
Nun zu den (fraktionstechnisch entzweiten) Rechtsfraktionen: Hier konnten die Rechtskonservativen (z.B. die Fratelli Italia mit Meloni) leicht auf 73 Sitze zulegen, die Nationalisten (z.B. FPÖ und Le Pen) zogen um rund 9 Sitze auf 58 Sitze hoch. So sich die europäischen Rechten nicht einigen können (was a la longue ohnehin nie funktioniert - zu egozentrisch sind da die jeweiligen "Leader"), bleiben sie also weiterhin eher ohne wirkliches Gewicht.
Ohne Gewicht bleiben auch weiterhin die Linken in der EU. Mit rund 36 Sitzen blieb man ziemlich unverändert.
Stark wäre da auch die Anzahl der Frankionslosen (ca. 50 Sitze) und rund 50 Sitze gehen auch an neue Abgeordnete, deren politische Richtung man noch schwer einschätzen kann und von denen sich wohl auch noch einige den "Großfraktionen" anschließen werden.
Die großen Themen im neuen EU-Parlament für die nächsten 5 Jahre werden wohl sein: Zuwanderung/Asyl (Nr. 1), Ukraine (Russland), China und hoffentlich nicht USA (so dort wieder Trump gewinnt...).
In Summe gesehen hat die Demokratie in Europa aber wieder klar gewonnen - ist aber dann doch ein Stückchen mehr gefährtet, als noch vor einigen Jahren...
Ad hoc-Meldung - Juni 2024