Auch 2024 dürfen sich die Meinungsforscher wieder (wie schon 2019) auf die Schulter klopfen: Das Ergebnis der Nationalratswahlen 2024 in Österreich bringt keine wirklich großen Überraschungen mit sich.
Das Ergebnis wird sich ob einiger noch nicht ausgezählter Briefwahlstimmen nur noch marginal ändern und sieht derzeit so aus: 28,8% FPÖ, 26,3% ÖVP, 21,1% SPÖ, 9,2% NEOS und 8,3% Grüne. Die Bierpartei (2,0%) sowie die KPÖ (2,4%) sowie weitere Kleinparteien (insgesamt 2%) haben es nicht ins Parlament geschafft.
Der Abgang von "VP-Messias" Kurz, Corona, Ukraine-Krieg und folgende Energiekrise mit ebenfalls folgender hoher Inflation haben also deutliche Spuren hinterlassen - die am Wahlsonntag präsentierten Anteile der Parteien wurden aber schon längere Zeit derart eingeschätzt und sind daher wenig überraschend.
Folgend eine kleine Beurteilung der Geldmarie des Wahlergebnisses:
Aktuell sieht es so aus, dass die ÖVP mit der SPÖ eine minimale Mandatsmehrheit im Parlament (1-2 Stimmen über 50%) schaffen könnte.
Eine derartige Koalition wäre aber ausgesprochen unsicher - da braucht nur 1 Mandatar krank sein, sich der Stimme enthalten (es soll ja auch eigenständige Menschen geben, die ihre freie Mandatsausübung ernst nehmen und nicht immer dem Klubzwang folgen) oder gar gegen den Antrag stimmen.
Darüber hinaus scheint die Stimmung im SPÖ-Lager nach den Wahlen weiterhin nicht stabil zu werden - wie lange sich hier Babler hält bzw. ob dieser seinen Parlamentsklub auch vollzählig hinter sich weiß, ist eher zu bezweifeln.
Es bedarf also einer "Kleinpartei" (Grüne oder NEOS) - hier würden sich wohl primär die NEOS als frischer Wind anbieten wiewohl die Aktivität der Grünen ob Thema "Klimawandel" wohl auch durchaus weiterhin Sinn ergeben kann.
Fast 29% der Wahlberechtigten haben erstmals bei Nationalratswahlen das rechte Lager zur Nummer 1 in Österreich gemacht. Nach den Turbulenzen der letzten 5 Jahre (siehe oben) kaum verwunderlich - denn so negativ war die Stimmung im Lande gefühlt ewig nicht mehr...
Da konnte die FPÖ sogar TROTZ Kickl den klaren Wahlsieg einfahren - MIT Kickl wird es aber wohl (so die ÖVP nicht wieder umfällt) nix mit dem Regieren werden.
Das ist wohl auch kein Fehler - eine Partei die vordergründig nur "GEGEN" ist, ist in der Regierungsverantwortung ohnehin nicht gut aufgehoben. Sieht man sich z.B. die Pressemeldungen aus dem "FPÖ-Wirtschaftsexpertenumfeld" an, erkennt man hier wenig Kompetenz. Im Gegenteil...
Landet die FPÖ aber wieder auf der Oppositionsbank (was derzeit anzunehmen ist), kann nur der nächste Skandal bzw. interne Machtstreit weitere Stimmenzuwächse verhindern. Landet die FPÖ hingegen irgendwie doch in der Regierung, fürchte ich mich eher nicht vor "Orbanistan-Zuständen" sondern gehe eher von einer baldigen Schwächung der FPÖ aus.
26,3% für die ÖVP wurde -wohl zurecht- seitens Parteifreunden der VP durchaus zufrieden aufgenommen - auch wenn man zuletzt gehofft hatte, dass Nehammer den Kickl noch auf den letzten Metern abfangen kann.
Der Verlust von 11,2 Prozentpunkten ist primär auf den Abgang von Kurz zurückzuführen, welcher die Partei kurze Zeit auf rund 20% zurückwarf und die FPÖ bei Umfragen auf über 30% hob. Kommunizierende Gefäße: Ein netter Dampfplauderer (Kurz) ist weg - und die Stimmen landen schon bei den Populisten.
Eine Koalition mit der SPÖ scheint nicht unwahrscheinlich - und sinnvollerweise nimmt man auch noch die NEOS dazu. Eine wirkliche "Reformkoalition" (die dringend notwendig wäre) ist aber leider so oder so nicht in Sicht.
Platz 3 für die SPÖ (21,1%) steht eigentlich auch schon länger fest. Wirkliche "Programmwähler" hatte die SPÖ auch in den erfolgreichen Jahrzehnten nicht - da ging es vielen Wählern eher um Parteibuchposten bei staatsnahen Unternehmen oder Gemeindewohnungen und Kleingärten. Seitdem das nicht mehr sooo leicht geht, geht es mit der SPÖ bergab und die Wähler sterben aus...
Die Peinlichkeiten (Excel-Fehler) bei der Wahl von Babler trugen wohl auch nicht zum Erfolg bei und auch wenn es traurig ist zu behaupten: Die SPÖ kann nur mit einem Populisten a la Doskozil wieder Stimmen von der FPÖ (wo die wenigen "Hackler" schon längst zu Hause sind) absaugen.
So Babler bleibt und Vizekanzler wird, sieht es für die nächsten bundesweiten Wahlen für die SPÖ weiterhin schlecht aus - auch wenn Babler durchaus den sympathischen, ehrlichen und aufrechten politischen Menschentyp entspricht. Das reicht aber wohl nur für Traiskirchen...
Die NEOS haben mit Meinl-Reisinger wohl die intelligenteste Führungspersönlichkeit aller Parlamentsparteien. Das reichte auch diesmal wieder für einen netten Stimmenzuwachs - wiewohl man bei den NEOS wohl auch auf Zweistelligkeit (9,2% sind es geworden) gehofft hat.
Angesichts der "Links-Rechts-Fronten" aber ein sehr beachtliches Ergebnis - die Mitte bzw. Liberalität ist ja leider in Österreich ohne große politische Tradition.
In einer 3er-Koalition mit VP und SP kann ich mir die NEOS ausgesprochen gut vorstellen (idealerweise: Finanzministerium, da gibt es viel Arbeit...) - auch die wichtigen Anliegen der Grünen sind bei den NEOS wohl gut aufgehoben.
So sich die NEOS auch dem Thema Vermögenssteuer mit offenen Augen widmet, wäre das auch kein Fehler...
Mit 8,3 Prozentpunkten liegen die Grünen fette 5,6 Prozentpunkte hinter dem Ergebnis aus 2019 - da war aber das Thema Klimaschutz noch relevanter für die Wahlen.
Grüne Gesundheitsminister hatten in Corona-Zeiten kein leichtes Spiel, Umweltministerin Gewessler in der Energiekrise (Stichwort: Gas) auch nicht wirklich - trotzdem haben die Grünen in den letzten Jahren durchaus einiges erreicht. Auch wenn z.B. der Photovoltaikboom eher auf Putin & Haberer zurückzuführen ist...
Eine Oppositionsrolle wird den Grünen wohl nicht schaden - das Hauptthema "Klimawandel" bleibt ja evident.
Mit 2,0% blieb die Bierpartei deutlich unter den Prognosen, die Wlazny & Co. einige Zeit sogar bei 5% und mehr gesehen hatten.
Was die Bierpartei allerdings wollte, erschloss sich vielen Wählern nicht - daher wurde sie auch kaum gewählt. Nur lustig sein, reicht halt maximal für ein paar Bezirksräte in Wien. Aber vielleicht gibt es ja ein Wiedersehen bei der kommenden Wien-Wahl.
Auch die KPÖ hat insgeheim wohl mit einem Parlamentseinzug gerechnet, kam dann aber noch nur auf 2,4%. Wobei das um 1,7 Prozentpunkte mehr waren als noch 2019. In Graz und Salzburg hat es schon gereicht - vielleicht schafft es die KPÖ ja demnächst in den steirischen Landtag...
Für den Nationalrat müsste sich wohl einer der schon bekannteren Lokalpolitiker vorne einspannen lassen - das Thema Mieten wird ja weiter ein großes Thema bleiben, welches eigentlich auch der SPÖ ein Anliegen sein sollte...
Derzeit riecht es sehr nach einer Koalition VP-SP-NEOS. Eine -erstmalige- Dreier-Koalition wäre durchaus einmal spannend. Derartige Verhandlungen werden aber wohl sehr lange dauern...
Nehammer wird wohl Kanzler bleiben, auf Babler als Vizekanzler würde ich nicht viel wetten (bzw. wohl nur kurze Zeit).
Die FPÖ wird in der Opposition mit Kickl weiter wachsen und wieder für einige Rülpser sorgen, die Grünen werden sich erholen. Ob mit Kogler oder ohne Kogler...
Ad hoc-Meldung - September 2024