Immerhin 9 Tage "vertragsfreier Zustand" galt es für knapp über 410.000 SVA-Versicherte zu bewältigen. Die Einigung hätte österreichischer nicht sein können: In der Nacht auf Donnerstag einigten sich die Streithansln Leitl/Gleitsmann (für die SVA am Verhandlungstisch) sowie deren Gegenüber Dorner/Wawrowsky (Ärztekammer) bei einem Wiener Heurigen auf einen neuen Honorarvertrag. Dieser gilt rückwirkend ab 1.7.2010.
Wieweit nun pure Weinseligkeit die Gemüter der Verhandler beruhigte und nun doch eine Einigung erbrachte oder ob der Druck seitens Politik und Initiativgruppen zu einem unverhofft raschen Konsens führte, bleibt offen. Fix (und erfreulich) ist, das SVA-Versicherte ab sofort wieder bargeldlos den Hausarzt oder Facharzt aufsuchen können.
Im Schnitt ergibt der neue Honorarvertrag für SVA-Versicherte eine Erhöhung von 0,65%. Die Hausarztkosten werden (wie ursprünglich verhandelt) um 4% teuerer, dafür gibt es bei den massiv überhöhten Labortarifen ab sofort eine Reduktion von 22%. Im Jahr 2012 werden die Labortarife um weitere 5% gesenkt.
Weiters vereinbarten SVA und Ärztekammer einen rundum erneuerten Gesamtvertrag ab 2012. Eckpunkte: Ein Vertrauensarztsystem, flexiblere Arztermine und ein Gesundheitsvorsorgesystem mit Bonus. Gelingen dem SVA-Versicherten z.B. günstigere Cholesterinwerte oder eine mit dem Arzt vereinbarte Gewichtsabnahme, vermindert sich der Selbstbehalt von 20% auf 10%. Ein diesbezügliches Pilotprojekt ist schon für 2011 angedacht.
Viele SVA-Versicherte werden nun wohl aufatmen - denn die Furcht, eine schwerere Krankheit oder eine Operation selbst vorfinanzieren zu müssen fällt nun wieder weg. Es reicht ja diesbezüglich schon der Selbstbehalt von 20%.
Die in den Tagen des vertragslosen Zustands bezahlten "Wuchertarife" einiger Ärzte werden aber von der SVA nur in Härtefällen rückerstattet (die 80% lt. Tarif gibt es selbstverständlich. Sollten Sie Opfer eines unseriösen Arztes geworden sein, wenden Sie sich diesbezüglich an die Ärztekammer (Link unten).
Abgesehen von der nun erfolgten Einigung haben aber auch viele Selbständige über nach wie vor bestehende Ungerechtigkeiten im Gesundheits- und Sozialversicherungswesen nachgedacht. So fortert zum Beispiel die sehr aktive Facebook-Gruppe "Vertragsloser Zustand" einige längst fällige Änderungen im Gesundheitssystem. Hier die Forderungen der aktuellen Aussendung:
Bei den oben genannten Punkten wird wohl fast jeder Selbständige zustimmend nicken - einzig die Abschaffung des Selbstbehaltes sollte man hinterfragen: Sie führt nämlich auch zu weniger Kosten für die Versicherungsgemeinschaft und damit auch für den einzelnen Versicherten. Bei einer einheitlichen Sozialversicherung für alle Österreicher (nur ein Versicherungsträger - gleiche Leistungen!) wäre dieser Punkt wohl ohnehin obsolet.
Die Politik ist hier zweifelsohne stärker gefragt. Die heutigen Jubelkommentare von Gesundheitsminister Stöger a la "Riesenerfolg für die Versicherten" und "Weltmarktführer im Gesundheitswesen" kann man nur als billigen Populismus bezeichnen. Der Minister ist (siehe Punkte oben) absolut gefragt, das angeschlagene Gesundheitssystems Österreich langfristig einigermaßen abzusichern.
Im Herbst wird es anlässlich der Budgetentlastungsdiskussion ohnehin um Einsparungen im Gesundheitswesen gehen - vielleicht ein guter Anlass, das System endlich entscheidend zu reformieren und zukunftssicher zu machen. Bisweilen kann man nur von einem teuren Weiterwursteln (allerdings auf hohem Niveau) sprechen.
Mit einer durchschnittlichen Tarifanpassung von 0,65% können SVA-Versicherte durchaus zufrieden den Schauplatz verlassen - aber wer garantiert, dass nicht schon bald wieder der Hut brennt? Derzeit niemand. Reformen bitte. Rasch.
Geldmarie-Linktipps:
Ad hoc-Meldung - Juni 2010