In den späten Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es in der Schafflerhofsiedlung (am Stadtrand von Wien in Essling gelegen) folgende Geschäfte: 2 Lebensmittelgeschäfte (Pusch und Katterbauer) sowie 2 Wirten (Gasthof Pressler - die Eltern vom Jazzmusiker "Fatty George", Gasthof zur Goldenen Meisterin). Ein Wirt sperrte zu und ein Greißler zog im Gasthaus Pressler einen kleinen Supermarkt auf. Und sperrte diesen bald wieder zu.
Genau wie "die Pusch" und später "der Katterbauer" bald ihre Pforten für immer schließen sollten. Auch aus dem zweiten Wirtshaus wurde in mehreren Etappen eine Pizzeria mit Lieferservice. Und die blieb die einzige Lokalität in der mit zirka 1000 Menschen (oder etwas mehr) besiedelten Schafflerhofsiedlung.
Kein Wunder: Denn der Trend zum Supermarkt begann schon in den 1970ern - gab es doch oft erhebliche Preisunterschiede zum Greißler um die Ecke. Da fuhr man schon einmal gerne ein paar Kilometer mit dem Auto (damals noch häufiger mit dem Rad) und kaufte kräftig ein. Der Greißler durfte dann gerade noch die täglich gebrauchten Güter verkaufen: Brot, Milch, Wurst etc. Zum längerfristigen Überleben absolut zu wenig. Somit wurde zum Pensionsalter einfach zugesperrt und in ein Wohnhaus umgebaut.
Gab es in Essling in den 1970ern genau einen Supermarkt (und das war der später sehr traurig gescheiterte "Konsum"), so hat sich dies mittlerweile geändert. Aufgrund der Nachfrage nach den etwas billigeren Supermärkten und der Stadterweiterung gibt es heute 3 Supermärkte: Spar, Billa und ein Lidl. Ein Hofer, ein Penny, ein Billa-Plus-Markt sowie weitere Billa-Filialen sind ganz in der Nähe zu finden. Und genau noch ein Greißler hält eisern die Stellung - gegenüber hat sich allerdings schon länger ein Supermarkt eingenistet...
Für die älternen Menschen sind die Wege nun oft etwas mühsamer, müssen Sie doch auf die stark frequentierte Hauptstrasse um
die dort befindlichen Supermärkte aufzusuchen. Das war schon praktisch, damals....
Auch ein sozialer Aspekt blieb massiv auf der Strecke: Aus dem kleinen Plausch mit dem Greißler von damals wurde heute ein
"Kann man bitte eine zweite Kassa aufmachen".
Natürlich gibt es auch Bäcker oder Lebensmittelhändler, die Hauszustellung anbieten: Aber da war ja der
Greißler damals noch deutlich billiger....
Es führt kein Weg zurück - die meisten Greißler sind weg und werden wohl auch nicht mehr so schnell aufsperren.
Dieses (selbst erlebte) Beispiel kann man selbstverständlich auf ganz Österreich ausdehnen - fast jeder Mensch, der vor den 1980ern geboren wurde, wird sich an so manchen Greißler erinnern, den es in seiner Nähe gegeben hat. Dafür sind die Supermärkte und Diskonter nur so aus dem Boden geschossen - was früher der Supermarkt für den Greißler war, könnte bald schon der Diskonter für den Supermarkt werden. Somit ist es auch kaum verwunderlich, daß viele Lebensmittelketten eine Mehrmarkenstrategie fahren: Ein klassischer Supermarkt (Billa), ein Spezialsupermarkt (Merkur, jetzt Billa+) und ein Diskonter (Penny) - so läuft das z.B. bei REWE.
Klare Antwort - weil sie einfach zu teuer sein müssen. Kein Greißler kann derartige Mengen einkaufen und Preise aushandeln wie eine Supermarktkette. Man kann hier sehr wohl in Nostalgie schwelgen - aber wenn die Menschen nur Milch, Brot oder ein Eis bzw. Zuckerl beim Greißler in der Nähe kaufen, wird dieser früher oder später nicht überleben können.
Wenn man wegen einem Einkauf von 30 Euro 20 Kilometer weit fährt, sollte man aber einmal nachrechnen: Zahlt sich das überhaupt aus (Autofahren wird auch nicht billiger)? Und kaufe ich im Supermarkt nicht mehr ein - Sachen, die ich gar nicht kaufen wollte, Mengen, die ich gar nicht essen kann (und folglich wegwerfen muss)? Ist mir der Greißler ums Eck nicht den einen oder anderen Euro wert? Wohl schon - denn die Nahversorgung ist insbesondere für eine alternde Gesellschaft (und in der leben wir) relevant.
Aber es sind natürlich auch die Greißler selbst gefragt: Einerseits sollte dieser das altbewährte Service plus Beratung und Freundlichkeit anbieten. Darüber hinaus gibt es nunmehr Möglichkeiten, auch andere Dienstleistungen anzubieten: Für viele Greißler gibt es die Möglichkeit, auch Tabakwaren, Postdienste, Bankdienste, Putzereiannahme, Bewirtung und ähnliches anzubieten. Da genannte Dienste in der dörflichen Struktur (aber auch in der Stadt) immer seltener werden, könnten Umsatz (und Ertrag) wieder in eine andere (bessere) Richtung weisen.
Schließendlich verkaufen ja Tankstellen auch unter der Woche im Shop Waren (Lebensmittel) zu unglaublich hohen Preisen und somit tollen Gewinnspannen, die das Geschäft mit dem Benzin schon lange in den Schatten stellen. Natürlich profitieren diese von den flexiblen Öffnungszeiten (Wochenende, Feiertage) - aber auch da gibt es schon längst Ausnahmebestimmungen für flexible Greißler. Auch viele Türken, Inder bzw. auch andere Zuwanderer) haben gezeigt, wie es doch gehen kann: Mit sehr viel Fleiß und Flexibilität (und wenig teuren Angestellten) ist ein Überleben (und oft sogar ein gutes Leben) im Lebensmittelbereich durchaus möglich, Reich wird davon aber natürlich niemand mehr.
Auch die Politik ist hier absolut gefragt: Es muss ja nicht überall ein Einkaufszentrum (am Stadtrand) genehmigt werden - es gibt ja ohnehin schon zu viele davon. Denn auch das bringt die letzten Nahversorger schön langsam -aber sicher- um. Auch lokale Bauernläden sollten gefördert werden - Regionalität ist auch in Sachen Klimaschutz besonders wertvoll.
Zum Schluss noch eine kleine Statistik - der langsame Tode der Nahversorger in Zahlen:
Lebensmittelgeschäfte in Österreich:
1975: 15.000
1980: 13.200
1990: 10.000
1995: 8.000
2000: 6.500
2010: 5.726 (davon ca. 1.500 sogenannte Greißler)
2014: 5.951 (56% davon Spar und BILLA), lt. Wikipedia
2017: ca. 5.300
Man sieht zumindest: Das Sterben der Lebensmittelgeschäfte hat sich verlangsamt. Gäbe es allerdings die ganzen kleinen Geschäfte der Zuwanderer nicht und würden nicht einige lokale Kaufleute in Dörfern tapfer die Stellung halten bzw. mit neuen Ideen (z.B. "Frischecontainer") punkten, wäre die Nahversorgung in Österreich nahe dem Nullpunkt.
Vielleicht eine gute Zeit, mit einer guten Idee den Kindertraum "Kaufmannsladen" doch noch umzusetzen...und vielleicht schallt dann das "kann ma bitte noch eine zweite Kassa aufmachen" weniger oft durch die Gegend. Beim Greißler würde man sich das nämlich nie trauen...
Laut Handelsverband gab es 2023 nur noch 1.600 selbständige Kaufleute (mit ca. 14.000 Beschäftigten) im klassischen Dienste der Nahversorgung.
Lt. KMU Forschung Austria gab es in 18% der 2.093 österreichischen Gemeinden keinen Lebensmittelhändler (mehr).
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