Vor der per 1.1.2011 (mit einiger Verzögerung) eingeführten Steuer auf Wertpapiere mussten Wertpapiergewinne innerhalb einer Behaltedauer von einem Jahr selbst mittels Einkommensteuererklärung nachversteuert werden. Dass auf das Abführen dieser Steuer seitens vieler Wertpapierbesitzer einfach "vergessen" wurde, dürfte sich jedoch schön langsam auch ins Finanzministerium herumgesprochen haben.
Die Einführung der Wertpapierzuwachssteuer, Kursgewinnsteuer, Aktiensteuer, Wertpapiersteuer, Vermögenszuwachssteuer, Wertpapier-KESt. etc. (es kursieren auch noch weitere Bezeichnungen für die neue Kapitalertragsteuer auf realisierte Wertsteigerungen von Wertpapieren) war demnach durchaus sinnvoll - und könnte für ehrliche Steuerzahler mit hoher Steuerprogression (welche bisweilen schon Gewinne versteuert haben) sogar ein kleiner finanzieller Vorteil sein.
Da jedoch seitens Börsianer bei Bekanntgabe der neuen Steuer kaum Jubel aufbrauste, könnte man fast annehmen, dass in der Regel nur selten vorschriftsgemäß versteuert worden ist. Generell ist aber der Wegfall der Spekulationsfrist (vorher mussten nur Gewinne versteuert werden, wenn die Behaltedauer kürzer als 1 Jahr war) für die meisten Anleger sicher von Nachteil.
Die Steuer beträgt bei den meisten Wertpapieren (z.B. Aktien) einmalig 27,5 Prozent von den realisierten Kursgewinnen - und zwar unabhängig von der Behaltedauer der Wertpapiere. Per 1.1.2016 erhöhte sich dieser Prozentsatz von anfangs 25 auf 27,5 Prozent.
Kaufen Sie z.B. ein Wertpapier um 900 Euro und verkaufen Sie dieses dann später um 1.000 Euro, so beträgt Ihr Gewinn (abgesehen von Dividenden oder anderen Erträgen, welche gesondert mittels KESt. versteuert werden) 100 Euro. Davon 27,5%, also 27,50 Euro werden dem Verkaufserlös direkt abgezogen (es sei denn, es sind Verluste im Kalenderjahr vorhanden, welche gegengerechnet werden können) und seitens Depotbank an den Fiskus abgeführt.
Die neue Wertpapier-KESt gilt schon für Wertpapierkäufe seit dem 1.1.2011 und betrifft alle nach diesem Zeitpunkt angeschafften Anteile von Investmentfonds, Immobilieninvestmentfonds und Aktien sowie Anleihen, Zertifikate und verbriefte Derivate, welchem ab dem 1.4.2012 erworben wurden.
Da sich die Banken und Fonds auf die Ende 2010 beschlossene Besteuerung noch technisch vorbereiten mussten, wurden aber realisierte Kursgewinne von Aktien, Fonds, Derivaten, festverzinslichen Wertpapieren oder Indexzertifikaten erst seit dem 1.4.2012 tatsächlich direkt dem Verkaufserlös abgezogen.
Bezüglich vor dem 1.4.2012 realisierten Gewinne von nach dem 1.1.2011 erworbenen Wertpapieren bestand trotzdem Steuerpflicht (via Einkommensteuererklärung) - nicht aber für Wertpapiere, welche vor dem 1.1.2011 angeschafft wurden ("Altbestand" - für diesen galt noch die 1-jährige Spekulationsfrist).
Privatplatzierungen sowie nicht verbriefte Derivate, im Ausland verwahrte Wertpapiere, Wertpapiere im Betriebsvermögen, Wertpapiere mit pauschalierten Anschaffungskosten nach Kapitalmaßnahmen oder auch Wertpapiere, deren Anschaffungskosten aufgrund eines Depotübertrages pauschaliert werden mussten u.ä. müssen ebenfalls noch über die steuerliche Veranlagung (nicht über Direktabzug beim Verkauf) gehen.
Kauf- und Verkaufsspesen von Wertpapieren bzw. Depotgebühren oder Spesen z.B. für Hauptversammlungen können der neuen Wertpapier-KESt. nicht gegengerechnet werden.
Sehr wohl werden aber ab 1.4.2012 realisierte Verluste von Neubeständen mit im selben Kalenderjahr erzielten Wertpapier-KESt.-pflichtigen Erträgen gegengerechnet. Das betrifft übrigens auch Dividenden! Seit 2013 erfolgt der Verlustausgleich sofort und automatisch. Dies führt dazu, dass viele Anleger am Ende eines Jahres noch ihr Depot durchforsten und durch einen Verkauf vor Jahresfrist absichtlich das eine oder andere Minus in Kauf nehmen, um von der (nur im selben Jahr möglichen) Gegenrechnung zu profitieren.
Da ist es oft sogar ein gutes Geschäft, am Jahresende noch schnell ein Verlustpapier (zwecks Gewinn-Gegenrechnung) abzustoßen - um dieses vielleicht sogar dann am Jahresanfang (oder gleich nach dem Verkauf) wieder ins Depot zu holen. Ein sehr individuelles Rechenbeispiel!
Ein automatischer Verlustausgleich ist nur bei einer Bank möglich - so Sie mehrere Depots bei verschiedenen Depotbanken führen, bleibt Ihnen nur die steuerliche Veranlagung. Auch ist ein Verlustausgleich nur bei einem Depot mit gleichem Besitzer möglich (diese Depots können innerhalb einer Depotbank auch zusammengeführt werden) - bei mehreren Depotbesitzern können Banken einen Verlustausgleich zumeist nur im betreffenden Depot durchführen (nicht aber depotübergreifend).
Depots, welche betrieblichen Zwecken dienen, können auch nicht in den Verlustausgleich eingerechnet werden. Das gilt auch für Verluste aus Wertpapierverkäufen, bei denen für die Wertpapierkäufe pauschal ermittelte Anschaffungskosten zugrunde liegen.
Ein Beispiel: Verkaufen Sie Wertpapiere mit 10.000 Euro Gewinn, werden davon 2.750 Euro (27,5%) Wertpapier-KESt. automatisch von der Bank einbehalten. Realisiert man dann einen Verlust von angenommen 1.000 Euro, kann nicht der gesamte Verlust gegengerechnet werden, sondern nur 27,5% davon (275 Euro).
Weitere Infos zum Wertpapier-Verlustausgleich finden Sie hier: Wertpapier-Verlustausgleich, Tax-loss-selling
2021/2022 flammte in der VP-Grüne-Koalition wieder die Thematik bezüglich Wertpapier-KESt auf. Diese neu zu gestalten, steht nämlich im Koalitionsabkommen und wurde Anfang 2022 vom neuen Finanzminister Brunner wieder auf den Tisch gehoben.
Gut möglich, dass sich hier ein Kompromiss abzeichnet - die Grünen werden wohl auf eine längere Behaltefrist drängen, die VP wird sich wohl auf die historische Behaltefrist von mindestens einem Jahr konzentrieren.
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